An(ge)dacht Mai 2021

Pursche_TalarMit folgenden Gedanken grüßt Sie
Pfrin. Imke Pursche

Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir. (Apg 17,27)

Liebe Leserin, lieber Leser,
wüssten Sie aus dem Stegreif, wo Sie am Montag vergangener Woche um 11:43 Uhr genau gewesen sind? Die Corona-Pandemie hat unseren Tagesablauf zwar stark eingeschränkt, aber wo genau wir uns in der Wohnung, auf dem Balkon oder im Garten aufgehalten haben, was wir genau getan haben, wie wir dabei ausgesehen haben – das dürfte doch in vielen Fällen schwer zu rekonstruieren sein. In meinem Fall ist das an einem Montag im April um 11:43 Uhr anders. Jemand weiß ganz genau, was ich an diesem Tag, in dieser Minute getan habe: der Zweckverband Kommunale Verkehrsüberwachung im Großraum Nürnberg, denn ich bin um 6 km/h zu schnell gefahren! Auf dem Papier steht zwar „Zeugenbefragung“, aber da müssen keine Zeugen eindringlich befragt werden. Das Foto zeigt eindeutig mich, der Blitzer hat mich gut erwischt, das erste Mal in meinem Leben. Ja, das ist ein unstrittiger Beweis. Wenn das doch mit Gott auch so einfach wäre! Mit Gottesbeweisen ist das so eine Sache, das wurde in Mittelalter und Beginn der Neuzeit zur Genüge versucht. Aber letztlich beweisen lässt dieser Gott sich einfach nicht. Der Monatsspruch für den Monat Juli stammt von Paulus: „Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns“, behauptet Paulus. Und weiter: „Denn in ihm leben, weben und sind wir.“ Tja, das sagt Paulus einfach so. Ein Beweisfoto gibt es davon nicht. Mit unserem Erleben trifft es überdies nicht immer zusammen, immerhin ist hier ja auch von „uns“ die Rede. Aber Gott fühlt sich in solchen Momenten doch alles andere als nah an, wenn wir vor lauter Sorgen nicht wissen, wie wir den nächsten Tag überstehen sollen. Wenn wir uns vor der Nacht fürchten, weil wir ahnen, dass der Schlaf kein guter sein wird, sondern im Gegenteil schlimme Bilder von Erlebtem oder Befürchtetem uns zum Alptraum werden. Wenn wir allein unsere Tage verleben müssen, isoliert von Menschen, die uns guttun, unserer geliebten Gewohnheiten und Beschäftigungen beraubt. Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns? – dieses Beweisfoto hätten wir dann vielleicht gerne!
Aber in diesem Fall scheitert die Beweisaufnahme wohl zunächst eher an einem formalen Hindernis: Gott ist zu groß, als dass er auf ein Blitzerfoto passen würde. Anders gesagt: Gott ist für unseren Verstand, auch für unser Herz zu groß, so nah er auch sein mag. Fassen, begreifen, beweisen können wir ihn einfach nicht. Auf dem Foto von uns und Gott, das zeigt, auf welche Weise er bei uns ist, wäre bildlich gesprochen immer nur ein Teil von Gott zu sehen, von dem kein Mensch auf das Gesamtbild schließen könnte.
Doch auf andere Weise blitzt Gott in unserer Welt auf, zu seiner Existenz lohnt es sich, Zeugen zu befragen. Paulus ist auf seine Weise so ein Zeuge. Denn er erlebt es so: „In ihm leben, weben und sind wir.“ Unsere gesamte Heilige Schrift kann uns zur Zeugin werden, ebenso die Glaubenserfahrungen unserer Mitmenschen heute, an denen wir uns festhalten können. Und auf den Blitzerfotos unserer Welt ist zwar nicht Gott selbst in seinem Handeln zu sehen. Wohl aber das Ergebnis seines Tuns, was uns vielleicht jäh in einem Moment der Wahrheit als sein Werk aufblitzt: Wie der erste Sonnenstrahl frühmorgens durch die Nebel über dem Regnitzgrund bricht. Die Nachricht, dass ein lieber Mensch doch gesund geworden ist und wieder am Leben teilnehmen kann. Das erste freundliche Wort eines Menschen, mit dem wir vielleicht länger im Streit haben leben müssen.
Nein, beweisen können wir Gott in unserer Welt nicht, er lässt sich durch keinen Blitzer einfangen. Aber wir können mit offenen Augen durch die Welt gehen um wahrzunehmen, wo etwas von Gott in unserem Leben aufblitzt. Und wir können uns an Zeugen festhalten, wie an Paulus: „Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir.“